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Interview mit Prof.in Barbara Schwarze zu Forderungen im W20-Dialogprozess

Anlässlich des W20-Summit wurden am 26. April 2017 in Berlin der Bundeskanzlerin Angela Merkel die Forderungen aus dem Dialogprozess der vergangenen Monate als finales Kommuniqué überreicht. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat als Vorsitzende des diesjährigen G20-Gipfels die Aufgabe übernommen, diese Themen in den G20-Prozess einzubringen. Die Einrichtung einer Arbeitsgruppe für die wirtschaftliche Stärkung von Frauen (working group on gender-inclusive growth) ist die Kernforderung an die G20.

An dem W20-Dialogprozess war Prof.in Barbara Schwarze, Vorsitzende des Kompetenzzentrums Technik-Diversity-Chancengleichheit e.V., aktiv beteiligt. Worum es konkret dabei geht und weshalb der Genderaspekt so wichtig ist, erklärt Prof.in Barbara Schwarze im Interview:

Was bedeutet für Sie persönlich die aktive Einbindung in den W20-Dialogprozess und welche Kernbereiche wurden herausgearbeitet?

 Prof. Barbara Schwarze

Prof. Barbara Schwarze, Vorsitzende des Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit e.V.

Die Teilhabe an einem Prozess, der weltweit dazu beitragen wird, Verbesserungen für Frauen zu erreichen, war eine ganz besondere Chance, die Ideen und Themen einbringen zu können, die uns im Kompetenzzentrum – mit den vielen engagierten Frauen-Technik-Netzen und Projekten – besonders wichtig sind.

Auf politischer Ebene fand bei W20 unter Führung des Deutschen Frauenrats und des Verbands Deutscher Unternehmerinnen im Vorfeld des Prozesses eine Verständigung auf drei Schwerpunkte statt, die die Arbeit im Jahr 2017 bündeln:

• Inklusion auf dem Arbeitsmarkt

• Finanzielle Inklusion und

• Digitale Inklusion

 

Besonders spannend war für mich, dass während der Diskussion deutlich wurde: etwas Wesentliches fehlt! Aus diesem Grund wurde ein vierter Punkt herausgearbeitet, der nun auch zur Zielbotschaft wurde: die geschlechtergerechte, wirtschaftliche Teilhabe von Frauen! W20 braucht dafür ein zentrales Sprachrohr, deshalb plädieren wir für eine Arbeitsgruppe für die wirtschaftliche Stärkung von Frauen (working group on gender-inclusive growth) auf der G20-Ebene. Nur so lassen sich die anderen drei Kernbereiche umsetzen, da sie sich bedingen, aber gebündelt werden müssen, um Wirkung zu erzielen. Mit einer offiziellen, aktiven Arbeitsgruppe wird es möglich, die W20-Botschaften in die G20-Gesprächsprozesse einzubringen und wirklich etwas zu bewegen.

 

Welche Forderung hat Ihrer Meinung nach die höchste Priorität?

Für mich gehört auf jeden Fall die digitale Chancengleichheit und Inklusion dazu! Wir brauchen schnelle Entscheidungen in einem sich rasant veränderten Zukunftsfeld, bevor Frauen in diesem Bereich ganz zurückfallen. Spannend finde ich es zu sehen, wie unterschiedlich Frauen und Männer international betrachtet bei der digitalen Teilhabe aufgestellt sind. Wir brauchen daher nach Geschlecht segregierte Daten, um zu erkennen:

- Woran liegen die Unterschiede?

- Welchen Zugang haben Frauen und Männer?

- In welchem Umfang nutzen sie digitale Technologien?

- Über welche Kompetenzen verfügen sie?

- Wie offen stehen sie digitalen Medien/Technik gegenüber?

Diese Daten sind notwendig, damit für jedes Land die notwendigen Ziele aufgestellt werden können, um Geschlechtergerechtigkeit bei der Entwicklung digitaler Kompetenzen herzustellen. Daher wäre es hervorragend, wenn die G20-Länder dieses Thema auf dem Gipfel als eines der strategischen Ziele klar benennen würden. Die digitale Revolution bietet einerseits großartige Möglichkeiten, anderseits jedoch stellt sie große Herausforderungen für die globale Wirtschaft dar. Die W20 appelliert aus diesem Grund an die G20, ein besonderes Augenmerk darauf zu legen, die geschlechtsspezifische Kluft im digitalen Bereich in Bezug auf den Zugang, die Nutzung, die notwendigen Kompetenzen und die Auswirkungen der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) einzudämmen und schlussendlich ganz zu beseitigen. Die digitale Inklusion ist für mich aus deutscher Sicht vorrangig, da wir bei den anderen Punkten zwar noch lange nicht am Ziel angekommen sind, aber breite Erfolge in der digitalen Teilhabe die zukünftige Aufstellung von Frauen am Arbeitsmarkt und bei der finanziellen Inklusion deutlich beeinflussen werden.

 

Was ist unter digitaler Inklusion genau zu verstehen?

Es geht um einen uneingeschränkten Zugang zu digitalen Technologien für alle – egal ob beruflich oder privat, welches Geschlecht, in welchem Alter, welches Einkommen, welche Erfahrungen oder Kenntnisse bestehen – und es beinhaltet sowohl die Einbeziehung in die Nutzung wie auch die Vermittlung der notwendigen Kenntnisse im Einsatz digitaler Technik. Für W20 geht es insbesondere um die Überwindung der geschlechtsspezifischen Kluft im digitalen Bereich. Es geht darum, dass Frauen in gleichem Umfang mit digitalen Tools im Arbeitsprozess ausgestattet werden, und dass sie mit ihren Interessen und Themen viel konsequenter in Ausbildungen, Studiengänge, Weiterbildungen und Berufe im digitalen Umfeld einbezogen werden. Dazu gehören auch intelligente Instrumente zur Förderung ihrer Beteiligung im Bereich Forschung und Entwicklung. Nur wenn Frauen hier in deutlich höherem Umfang tätig werden, können sie die zukünftige Ausgestaltung der Digitalisierung beeinflussen und mitgestalten.

Wie kann solch eine stärkere digitale Kompetenz von Frauen erreicht werden?

In Deutschland zeigt sich, dass Frauen auf diesem Gebiet in zu geringem Umfang partizipieren. In der Entwicklung von Zukunftstechnologien sind z. B. Frauen nicht in dem Umfang beteiligt, wie sie es von ihrem prozentualen Anteil und ihrer Kompetenzen her sein müssten. Daher ist es unerlässlich, dass wir nicht nur den Ist-Stand analysieren und feststellen, sondern wir brauchen ein konkretes Programm zur Veränderung, mit klaren Ziel- sowie Zeitvorgaben und einer entsprechenden Finanzierung.

Damit Frauen die Digitalisierung mitgestalten, fordert die W20 einen Aktionsplan, um Zielvorgaben zu schaffen, deren Einhaltung überprüfbar sind. Nur so erhalten Frauen den gleichen Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologien und eine effektive Ausbildung ihrer digitalen Fertigkeiten. Ein weiterer Punkt wäre die Festlegung von Zielvorgaben für Frauen und Mädchen zur Aus- und Weiterbildung in MINT-Fächern, genauso wie zur Förderung des Unternehmertums bzw. weiblicher Innovationen in der IKT-Branche.

Das mag zunächst abstrakt klingen und viele haben das Gefühl, es wird über die Themen weit entfernt diskutiert und als Privatperson erfährt man über die Nachrichten von solchen Treffen und fragt sich: „Welche Auswirkung hat das schon auf mich?“

Doch sollte sich jede und jeder von uns bewusstmachen, dass der digitale Wandel überall eintreten wird und in zahlreichen Branchen bereits rasant in Arbeitsabläufe und den Fortbestand von Arbeitsplätzen eingreift! Während in Deutschland scheinbar nur im technischen Umfeld umfassend über die Veränderung der Arbeitsplätze diskutiert wird, ergreift das Thema Digitalisierung in weitreichendem Umfang insbesondere auch Branchen mit hoher Frauenbeschäftigung, wie Banken-, Finanzen-, Versicherungswesen oder Verwaltungen, aber auch die sozialen Dienstleistungen und den Handel. Dies bedeutet gerade für Frauen eine notwendige umfassende Diskussion ihrer beruflichen Perspektiven und eine massive Investition in die digitale Weiterbildung.

Daher ist es elementar, was die W20 mit ihrer Forderung nach einer kontinuierlichen Arbeitsgruppe, einer entsprechenden Ausstattung mit Finanzmitteln und einer stärkeren Beteiligung von Frauen in den G20-Diskussionsprozess einbringt!

Wir müssen uns von der alten, geschlechterspezifischen Trennung von Arbeitswelten lösen, und uns fragen, wie wir die Arbeitsplätze der Zukunft für Frauen und Männer gestalten können. Wie kann sich jede und jeder einbringen? Wenn wir weiterhin Frauen ausschließen oder sie nicht entsprechend in diesem Prozess berücksichtigen, werden sie im schlimmsten Fall Verliererinnen der digitalen Entwicklung.

So sollten Unternehmen bereits heute die Nutzung des digitalen Equipments - sprich Smartphones, Co-working- und Videokonferenztools, mobile Technologien oder Clouds - Frauen wie Männern am Arbeitsplatz zur Verfügung stellen und Anreize für den Erwerb digitaler Kompetenzen bieten. Studien zeigen einen klaren Ausstattungsnachteil von Frauen, was zur Folge hat, dass diese weniger an Projekten beteiligt sind, in denen diese Tools eingesetzt werden. Andererseits ist es auch an uns Frauen klarer einzufordern, dass wir diese Tools benötigen und für notwendige Weiterbildungen eingeplant werden wollen!

Mit der Durchdringung vieler Branchen mit digitalen Technologien wächst die Anzahl der Quereinsteigerinnen und -einsteiger im digitalen Branchenumfeld. Dies bietet Frauen deutlich mehr Chancen für IKT-basierte Existenzgründungen, die durch Förderprogramme für von Frauen gegründete Start-Ups und geführte Unternehmen unterstützt werden könnten.

 

Stichwort Wissenschaft und Forschung, das klang auch bei Ihnen schon an. Zwar steigt die Zahl der weiblichen Studienanfänger in MINT-Studiengängen, aber was muss sich inhaltlich weiter ändern, um digitale Bildung insgesamt zu etablieren?

Meiner Meinung müssen Grundkompetenzen für die digitale Entwicklung schneller in den Schulen eingeführt werden als sich dies nach den Beschlüssen der Kultusministerkonferenz aus dem letzten Jahr abzeichnet. Sprich – bereits in den Grundschulen sollte hier umgehend reagiert werden. Vielleicht müssen für die Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte eher ungewöhnliche Kooperationswege mit Unternehmen und Hochschulen, beispielsweise Schulungen in Hard- und Software, beschritten werden, um die Prozesse zu beschleunigen. Digitalisierungsthemen müssen nicht nur in allen Schulfächern verankert werden, sondern auch über die klassischen MINT-Fächer hinaus in den sozialen und geisteswissenschaftlichen Studiengängen. Nur ein Beispiel: Derzeit boomen die Pflegetechnik und die Digitalisierung in Krankenhäusern, aber selbst die akademische Aus- und Fortbildung von Pflegekräften oder Sozialpädagoginnen und -pädagogen zeigt noch viel zu wenig Angebote für die Beschäftigten dieser Branchen.

Aktuelle Studien wie der D21-Digital-Index 2016 und die Studie „Schule Digital“ der Initiative D21 e. V. zeigen, dass es bei der Nutzung digitaler Technologien unter jungen Leuten – weiblich wie männlich – kaum Unterschiede gibt, aber erhebliche bei der digitalen Kompetenz, wie dem Einsatz von Webanwendungen, Programmiersprachen oder der Einrichtung von Netzwerken! Soziale Netzwerke und digitale Medien werden von Mädchen und Jungen gleichermaßen aktiv genutzt, aber schon bei der Frage, wie die Technik selbst gestaltet oder entwickelt wird, haben wir mit den anhaltenden stereotypen Verhaltensweisen und einer massiven digitalen Kluft zu kämpfen. Das ist elementar für die Zukunft, denn alle Studien zeigen, dass sich dieser Unterschied nicht „auswachsen“ wird, weil die neue Generation ausschließlich aus ‚digital natives‘ besteht, sondern diese Diskrepanz der Geschlechtergerechtigkeit bestehen bleiben wird, wenn wir nicht handeln!

Es gibt bereits erfolgreiche Programme, die nachweislich Wirkung für mehr Chancengleichheit zeigen - wie der vom Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit e.V. koordinierte bundesweite Girls’Day – Mädchen-Zukunftstag, der Nationale Pakt für Frauen in MINT-Berufen - "Komm, mach MINT.", oder die bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft erarbeiteten Gleichstellungsstandards.

Diese Beispiele sind wichtige Belege dafür, dass sich mit den richtigen Maßnahmen auch etwas bewegen lässt. Die steigenden Zahlen von Frauen in MINT-Studiengängen sind ein sichtbarer Beweis für die Wichtigkeit und Notwendigkeit dieser Projekte. Aber wir benötigen auch eine konsequente Ausweitung auf die Berufsausbildung! Hier fehlt ein klar auf die Förderung von Frauen bei den IT-Fachkräften ausgerichtetes Programm. Ein eklatanter Mangel, gerade wenn wir an die geringen Zahlen an Gründungen durch Frauen, an Unternehmensnachfolge und Start-Ups im IT-Umfeld denken. Gerade aus dem Pool der beruflich gebildeten Fachkräfte heraus entwickeln sich häufig Initiativen für Gründungen, somit gilt es initiativ zu werden, um diese große Kluft zu schließen.

Ein wichtiger Weg ist nach unseren Erfahrungen der Transfer von Forschungserkenntnissen im Bereich Gender und Technik in die Unternehmen. Aus diesem Grund gibt es beim Kompetenzzentrum ein neues Verbundprojekt, das Projekt GEWINN, das genau da ansetzt. Es hat das Ziel, die Forschung zu Gender und Informatik in der Praxis nutzbar zu machen, um weibliche Young Professionals aus der Informatik auf ihrem Weg in Spitzenpositionen zu unterstützen. Im Zentrum steht der Forschungstransfer: Wissenschaftlich fundiertes Geschlechterwissen soll in einem Dialog zwischen Unternehmen und Wissenschaft weiterentwickelt, aufbereitet und für die praktische Umsetzung handhabbar gemacht werden. Auch solche Projekte zeigen, dass bereits vieles an notwendigem Wissen zur „Digitalen Inklusion“ für Frauen vorhanden ist, es aber der richtigen Werkzeuge zur breiten Umsetzung bedarf.

Quelle: www.kompetenzz.de

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