Erfahrungen und Handlungsansätze von und für Frauen in der IT

Katharina Losch

(Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften)

Workshop 13:00 – 14:30 Uhr

Katharina Losch begann den Workshop mit der Vorstellung ihres Werdegangs: Sie hat an der Universität Bielefeld Soziologie im Bachelor und Master studiert und belegte im Nebenfach Psychologie. Aktuell promoviert sie im Rahmen des interdisziplinären Promotionsprogramms „KoMMa.G“ („Konfigurationen von Mensch, Maschine und Geschlecht“) an der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften in Braunschweig über chinesische und indische Doktorandinnen in der deutschen Informatik. In Deutschland ist die Informatik männlich geprägt, doch in anderen Ländern wie z. B. Indien oder China gibt es deutlich mehr Frauen in diesem Bereich. Wie geht es den Frauen aus diesen Ländern, wenn sie in Deutschland studieren oder promovieren? Wie nehmen sie die deutsche Informatik wahr? Und besteht in dieser Wahrnehmung Potential für eine Veränderung in Deutschland? Katharina Losch bedient sich zur Beantwortung dieser Fragen qualitativer Methoden der empirischen Sozialforschung, der Gender Studies und der Migrationssoziologe. Es handelt sich um ein hochaktuelles Thema mit großem Handlungsbedarf.

Im Rahmen einer Vorstellungsrunde tauschten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer darüber aus, was sie studieren bzw. studiert haben, was ihre aktuelle Position und ihre Themenschwerpunkte sind und mit welcher Motivation sie sich für den Workshop entschieden haben. Es zeigte sich, dass viele verschiedene Hintergründe vertreten waren: Frauen, die in der IT-Branche arbeiten, Mitarbeiterinnen von Gleichstellungsstellen und aus HR-Abteilungen, Vertreterinnen und Vertreter ähnlicher Projekte wie GEWINN mit fachlichen Hintergründen aus der Informatik, der Psychologie, der Soziologie, der Wirtschaft u. v. m. Das bot eine gute Grundlage für einen konstruktiven Austausch.

Trotz gesellschaftlicher Bemühungen, mehr Frauen für technische Felder zu gewinnen, bleibt der Männeranteil überdurchschnittlich hoch: Nur 16 Prozent der IT-Beschäftigten und 23 Prozent der Informatik-Studienanfänger sind weiblich. Die Entwicklung ist schleppend. Die Informatik ist allerdings geschichtlich und kulturell unterschiedlich geschlechtlich konnotiert. Dies hat viel mit Machtverhältnissen zu tun. Für Deutschland gilt aktuell, dass Männer für die Informatik als fähiger angesehen werden als Frauen. Für Frauen wirkt das „Nerd-Image“ der Informatik abschreckend. In Ländern wie Indien, Malaysia oder im arabischen Raum hingegen studieren deutlich mehr Frauen Informatik. Da Frauen in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern generell mehr Freiheiten haben, müsste das eigentlich auch für die IT gelten. Diese Schlussfolgerung ist allerdings zu einfach; ein genauerer Blick ist nötig.

Berufliche Erwartungen des männlichen Feldes können mit geschlechtsbezogenen Vorstellungen zur Rolle der Frau in Konflikt geraten. Es besteht das Vorurteil, dass Frauen in der IT männlich wirken. Darüber hinaus bestehen Vereinbarkeitskonflikte zwischen Beruf und Familie und es fehlt eine Sensibilisierung.

Das Konzept der „Intersektionalität“ besagt, dass verschiedene Dimensionen sozialer Ungleichheit (v. a. Gender, soziale Herkunft, Ethnizität) zusammenwirken und sich gegenseitig verstärken können. Der Begriff der „männlichen Dominanz“ nach Bourdieu bringt die Machtverhältnisse zwischen Frauen und Männern zum Ausdruck. Als symbolische Gewalt bleibt sie den Akteurinnen und Akteuren verborgen und beeinflusst den sozialen Umgang in selbstverständlicher Weise. Da in einem männlich dominierten Arbeitsumfeld vieles unbewusst stattfindet, ist ein Bewusstwerden der Problematik wichtig. Offene Formen der Diskriminierung haben gegenüber subtilen Formen an Relevanz verloren, sind jedoch genauso wirksam. Nicht zu unterschätzen ist die Bedeutung der sozialen Interaktion im Beruf für die Entstehung „herausragender Persönlichkeiten“, also im Endeffekt der Frage: Wer fördert wen (und wen nicht)?

In der ersten Gruppenarbeitsphase standen die Fragen „Wo werden Schwierigkeiten wahrgenommen? Was wird aber auch als positiv erlebt?“ im Mittelpunkt. Anschließend wurden die Ergebnisse im Plenum zusammengetragen:

  1. Negative Erfahrungen:
  • Vorurteile („Frauen können Informatik nicht“, „Frauen gehören nicht in die Informatik“)
  • Expertinnenkarrieren werden versperrt
  • Frauen bekommen häufig den Gleichstellungsbeauftragtenposten zugewiesen, was weniger Zeit für Fachliches bedeutet
  • Männliche Sozialisation innerhalb der IT erschwert es Frauen, sich überhaupt bewusst zu machen, dass Probleme bestehen
  • Wie werden Frauen repräsentiert? Diskrepanz zwischen positiver Positionierung, auch von sich selbst, und der Gefahr, instrumentalisiert zu werden für das Marketing des Unternehmens
  • Problematische Annahme: Frauen sind alle gleich
  • Studienabbruchsquoten sind hoch
  • Gefühl der Minderheit im Studium, gerade im Vergleich zu anderen Kulturen
  • Fehlender Praxisbezug im Studium
  1. Positive Erfahrungen:
  • Dort, wo wenig Frauen sind, ist es lohnenswert, sich mit anderen Frauen zu vernetzen
  • Wenn die Männer in der Abteilung ihre Rolle als Vater aktiv leben (z. B. früher gehen, um Kinder abzuholen), führt das zu mehr Gleichheit und zeigt den Frauen, dass sie nicht die Exotinnen sind
  • Weibliche Rollenvorbilder im Berufsleben, weibliche Chefs
  • Anwesenheit einer Frau in einer vormals reinen Männergruppe wurde positiv aufgenommen, weil das Kommunikationsverhalten sich verbessert hat (aber: Tokenism, Rollenzuschreibung)
  • Anstatt zu diskutieren positives Beispiel sein, z. B. bezüglich gendergerechter Sprache
  • Studienabbrüche aufgrund von Angeboten aus der Industrie, Laufbahn an der Universität vergleichsweise unattraktiv

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer diskutieren u. a. über die Ambivalenz von Frauennetzwerken (gegenseitige Stärkung vs. Abspaltung, die zu mehr Vorurteilen führt: Balance ist wichtig) und über die Ambivalenz von Marketing mit Frauenquoten (Frauen sollten das freiwillig machen und nicht in die Rolle eines Rollenvorbildes gedrängt werden). Außerdem wurde festgestellt, dass Jobs mit Computern vormals weiblich konnotiert waren. Erst als das Prestige der Branche stieg, wurde es männlich dominiert. Eine weitere, besonders im Vergleich verschiedener Kulturen, spannende Frage, die diskutiert wurde, war: Was für ein Interesse hat eine Gesellschaft an mehr Frauen in der IT? Das Beispiel einer Mathematikprofessorin, deren Schlüssel zu ihrer Karriere war, dass sie eine Mädchenschule besuchte und dort keine Unterteilung in typische Jungen- und Mädcheninteressen erlebte, führte zu der Erkenntnis: Vorurteile prägen junge Menschen.

In der zweiten Gruppenarbeitsphase besprachen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer: „Was wären Lösungen für angesprochene Probleme oder Maßnahmen, die an positiv Erlebtes ansetzen?“ Folgende Gedanken wurden gesammelt:

  • Selbstwertgefühl der jungen Frauen muss bereits im frühen Alter gestärkt werden; sodass die Vorurteile gar nicht erst in den Köpfen ankommen (Kindergartenkinder malen als Assoziation zu „Wissenschaft“ jemanden wie Albert Einstein und keine Frau)
  • ShellStudie zeigt: Jugend wird immer traditioneller --> Teufelskreis
  • Die Universität kann nicht mehr kompensieren, was Kindergarten und Schule verpasst haben
  • Im Lehramtsstudium wird der Umgang mit digitalen Medien kaum gelehrt
  • Das Elternhaus spielt eine große Rolle
  • Es sollte vermittelt werden, dass Informatik mehr ist als Mathematik und Programmieren, sondern auch Gestalterisches (Softwareengineering) einschließt
  • Es bestehen unzureichende Vorstellungen in der Gesellschaft darüber, wie vielfältig Informatik ist; Informatiker/innen müssen gut mit Menschen umgehen können --> Handlungsempfehlung für Unternehmen, diese Vielfältigkeit darzustellen
  • Diversity ist eine Haltung (Top-Down), muss von allen gelebt werden
  • Mehr Sensibilisierung nötig
  • Stellenanzeigen (Sprache, Bilder und Design prüfen)
  • Alle "mit ins Boot holen", Diversity als Vorteil für alle kommunizieren
  • Gruppe, die Diversity vorantreibt, sollte selbst divers sein à mehr Akzeptanz
  • Zukunft gemeinsam gestalten
  • Wording ist nicht trivial: Statt „Diversity“ könnte manche Personen ein anderer Begriff wie „CoCreation“ eher ansprechen

Zum Abschluss wurde noch kurz diskutiert, wie realistisch die Umsetzung dieser Handlungsansätze ist und wurden die Workshopergebnisse zusammengefasst.

GENDER//WISSEN//INFORMATIK" in den soziale Netzwerken