Begrüßung

Prof. Nicola Marsden

(Hochschule Heilbronn, wissenschaftliche Leiterin GEWINN)

Vortrag 9:30 - 9:45 Uhr

Die Rolle von Frauen in Unternehmen zu stärken ist eins der übergeordneten Ziele der BMBF-Förderlinie „Strategien zur Durchsetzung von Chancengleichheit für Frauen in Bildung und Forschung“ („Erfolg mit MINT – Neue Chancen für Frauen“), in der das Projekt Gender. Wissen. Informatik. Netzwerk (GEWINN) angesiedelt ist, so Nicola Marsden in ihrem Eröffnungsvortrag. Zielgruppe sind daher weibliche Young Professionals in IT-Forschung und -Praxis sowie Verantwortliche aus Unternehmen und Organisationen, die eingeladen sind, sich über Geschlechterforschung, ihre Auswirkung auf die Praxis und umgekehrt auszutauschen.

Zwei Gründe sprechen dafür: zum einen geht der Fortschritt nur langsam voran, Frauen für die IT-Branche zu gewinnen und in ihr zu halten. Dabei wird eher auf Defizite und Verluste fokussiert und es wird versucht, die Frauen zu „korrigieren“. Zum anderen erhöht die digitale Transformation die Bedeutung von Geschlecht in erheblichem Maße. Gender und IT betrifft nicht mehr nur technische Artefakte, bestimmte Unternehmen oder Benutzergruppen, sondern einfach alles.

Geschlechtergerechtigkeit ist wichtig, darin sind sich alle einig. Fokussiert wird in der Praxis auf den Fachkräftemangel und dass sich durch die Erhöhung des Frauenanteils die Situation für alle ändert. Auch geht es um Unterstützung und Förderung von Frauen. In der Forschung hingegen wird darauf hingewiesen, dass die Förderung von Frauen impliziert, diese seien defizitär und müssen an Erwartungshaltungen angepasst werden. Funktioniert die Anpassung nicht, wird gerne betont, dass die Frauen ja eigentlich gar nicht wollen. Daher wird hier geschaut, dass die Organisationen und Prozesse anzupassen sind.

Hierbei benennt Nicola Marsden zwei Teufelskreise, die zum einen auf der Ebene der Organisation und zum anderen auf der des Individuums erkennbar sind. Das System der Organisation reproduziert sich permanent selbst und erklärt die Homogenität statt Vielfalt zur Norm, für die die Frauen erst „passend gemacht“ werden müssen. Die Frauen selbst wiederum versuchen sich diesen systematischen Erwartungshaltungen anzupassen anstatt eigene Impulse, Fähigkeiten, Sicht- und Arbeitsweisen einzubringen. Dies führt eher zu Konformität statt einer Potenzialentfaltung (1). Diese Dynamiken können in der Forschung sehr gut beschrieben werden und deutlich machen, dass „Fixing The Women“ nicht die Lösung sein kann. Im Praxisalltag und operativer Hektik allerdings ist Anpassung erfolgversprechender auch wenn dadurch Stereotype reifiziert werden.

Es ist vor allem deshalb schwierig, gegen Diskriminierung vorzugehen, da Stereotype den handelnden Personen meist nicht bewusst sind. Selbst ohne negative Haltung kann diskriminierendes Verhalten an den Tag gelegt werden, was niemand möchte. Die Metapher des Eisbergs, die häufig für Kulturen und insbesondere auch Organisationskulturen genutzt wird, zeigt, dass nur der sichtbare Teil des Eisbergs bewusst ist, der deutlich größere Teil, der unter der Wasseroberfläche liegt, unsichtbar ist. Das Unsichtbare bzw. Unbewusste aber bestimmt, was oberhalb der Wasseroberfläche passiert: Werthaltungen, Erwartungen, Einstellungen und Bezugssysteme beeinflussen die Wahrnehmung und das Verhalten der Individuen, ohne dass ihnen das bewusst ist.

Als Beispiel stellte Nicola Marsden die „Blind Auditions“ von US-Symphonie-Orchestern vor, die in den 70er und 80er Jahren zunehmend eingeführt wurden, um sicherzustellen, dass mit dem Auswahlverfahren wirklich die besten Orchestermitglieder auswählt werden und nicht auf Basis von Stereotypen entschieden wird (2). Für die Anhörungen spielten die Musikerinnen und Musiker hinter einem Vorhang, so dass nicht sichtbar war, welches Geschlecht oder welche Hautfarbe die Person hatte, die spielte. Zunächst gab es noch eine Präferenz für männliche Musiker – dieser verschwand jedoch als die Vorspielenden gebeten wurden, Ihre Schuhe auszuziehen bzw. ein Teppich ausgelegt wurde: Das Geräusch der Absätze hatte das Publikums unbewusst beeinflusst. Das Ergebnis war erstaunlich: Aus dem Stand kamen nach dieser ersten Auswahlrunde 50 % Frauen auf Basis ihrer musikalischen Leistungen in die nächste Runde. An diesem Beispiel wird deutlich, dass die Überwindung von Vorurteilen nicht so einfach ist und dass "sich bemühen" nicht unbedingt hilft. Das Beispiel  auch, dass die Chancen von Frauen bei Einstellungsprozessen höher sind, wenn es keinerlei Hinweise auf das Geschlecht der Bewerberin gibt.

Auch wenn es um die Frage geht, wie eine Führungskraft aussieht, wird unbewusst das Bild einer imposanten physischen Erscheinung in den Köpfen hervorgerufen. Das Bild beeinflusst unbewusst das Verhalten, was wiederum eine Rückwirkung auf die Welt hat und dadurch Geschlechterstereotypen fortwährend reproduziert werden. Als weitere Beispiele führt Nicola Marsden aus, dass häufig das gleiche Verhalten unterschiedlich bewertet wird, je nachdem ob es von einer Frau oder einem Mannes gezeigt wird.

Da Frauen qua impliziter Assoziation als weniger kompetent, ambitioniert und konkurrenzorientiert gelten, werden sie bei der Besetzung von Führungspositionen eher übersehen. Wenn sie diese für eine Führungsposition vermeintlich so wichtigen Eigenschaften aber zeigen, sich damit also als untypische Frauen präsentieren, werden sie jedoch auch negativ wahrgenommen. So entsteht ein Balanceakt. Die geschlechterstereotypischen Zuschreibungen können negative Rückwirkungen auf die Akzeptanz von weiblichen Vorgesetzten haben, behindern die paritätische Besetzung von Führungspositionen und haben insgesamt einen negativen Effekt auf die gesamte Karriereentwicklung von Frauen. Die Auswirkung von vergeschlechtlichten Stereotypen zeigen sich auch für Männer: Wenn sie Care-Aufgaben übernehmen, werden sie  als weniger kompetent eingeschätzt.

Im Anschluss an die inhaltlichen Ausführungen, die für den anstehenden Fachtag bereits erste Impulse für die Diskussion lieferte, stellte Nicola Marsden das Programm des Fachtags vor. Dabei wies sie darüber hinaus auf die im Foyer verfügbaren Exponate des Social-VR-Labs der Hochschule Heilbronn sowie des Makerspace FabLabs der Universität Siegen hin, und wünschte abschließend allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern spannende, neue Impulse und einen erfolgreichen Austausch miteinander.

(1) https://digitaletanzformation.wordpress.com/2018/04/27/die-zwei-teufelskreise-der-frauenfoerderung/
(2) https://www.theguardian.com/women-in-leadership/2013/oct/14/blind-auditions-orchestras-gender-bias

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