Als Frau in IT oder Technik? Wirklich?

Anja Schumann

Eröffnungsvortrag 9:45 – 10:30 Uhr

Die Lernatmosphäre in der Coding- und Tech-Szene empfindet Anja Schumann als nicht angenehm. Was sie in Deutschland erlebte, passte nicht zu ihrer Vorstellung von einem modernen Land, sodass sie sich entschloss, ihr eigenes Umfeld aufzubauen. 2017 gründete sie Moinworld e. V. in Hamburg. Der Verein verfolgt einen pragmatischen Ansatz, um mehr Frauen für die IT zu begeistern.

Anja Schumann hat ihre Women-Techmakers-Initiative als Teil von Googles Diversity-Initiative begonnen. Ein Jahr später wurde daraus der Verein Moinworld, der aktuell mit vielen Partnerinnen und Partnern zusammenarbeitet und noch weiterwachsen soll. Aktuell ist eine Kooperation mit Airbus in Planung.

Moinworld e. V. baute eine Plattform in Form einer Website auf. Im dazugehörigen YouTube-Kanal sind Videoportraits über Entwicklerinnen abrufbar: Es soll gezeigt werden, dass viele tolle Frauen in der IT arbeiten, um Vorurteile abzubauen. Außerdem veranstaltet der Verein regelmäßig Community-Events in Form von Meet-Ups. Meet-Up.com ist eine Plattform, über die hauptsächlich in der IT-Branche After-Work-Events organisiert werden. Sie bieten der Community die Möglichkeit, Fachvorträge zu hören und sich im Netzwerk auszutauschen. Nicht zuletzt bietet Moinworld e. V. an, unternehmensnah programmieren zu lernen.

Anja Schumann zeigte ein Foto von einem ihrer Meet-Ups im Büro von Google. Es treffen sich alle zwei Wochen, je nach Thema, 50 bis 70 Menschen. Die meisten Events stehen Männern und Frauen offen, zumeist kommen aber aufgrund des Titels mehr weibliche Teilnehmer. Die Themen der Meet-Ups reichen von sehr technischen Bereichen wie Micro-Services oder Software bis zu breiteren Themen wie Empowerment, Design Thinking oder Innovation. Es ist durchaus das Ziel, Menschen anzusprechen, bei denen das Thema Technik mit Angst besetzt ist, damit diese Entwicklerinnen und Entwickler kennenlernen und einen Zugang zu den Themen finden. Die Meet-Ups finden auf Englisch statt. Das Organisationsteam ist, was die Geschlechter und die beruflichen Hintergründe angeht, divers aufgestellt.

Besonders interessant für Anja Schumann waren im Rahmen der Meet-Ups die Rückmeldungen von Frauen aus anderen Ländern, wo die Situation von Frauen und Männern in der Berufswelt etwas anders ist. Das internationale Feedback habe ihr deutlich gemacht, wo es in Deutschland noch Nachholbedarf gibt.

Da die Women-Techmakers-Meet-Ups in Hamburg gestartet wurden, existiert dort bereits eine große Community. Im Juni hat der Verein zudem in München mit Siemens zusammengearbeitet. Ein Digitalisierungstraining, das dort für das Top-Management entwickelt wurde, wurde als Angebot für Frauen durchgeführt. Anja Schumann berichtete außerdem von ihrer ersten größeren Veranstaltung zum Thema Artificial Intelligence und Machine Learning sowie von ihren Aktivitäten bei der Karrieremesse „HerCareer“.

Sie hat den Verein allein gegründet und freut sich mittlerweile über 40 ehrenamtlich Engagierte. Die meisten davon sind Entwicklerinnen und Entwickler. Dabei hält sie es für wichtig, dass sich auch Männer für das Thema Diversity einsetzen, da es diese ebenfalls bevorzugen, nicht in homogenen Teams zu arbeiten. Es haben also alle eine Motivation, einen Beitrag zu dieser Veränderung zu leisten.

Konkrete Zahlen zum Thema Frauen in der IT seien schwierig zu finden, sodass Anja Schumann sich über den Austausch mit den anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Fachtags freut. Vor dem Hintergrund, dass die ersten Programmiererinnen Frauen waren, wirkt der aktuell geringe Frauenanteil noch skurriler. Anja Schumann zeigte in ihrer Präsentation ein Bild von Stephanie Shirley, der ersten Gründerin eines Softwareunternehmens in England, und empfahl ihren TED-Talk (1). Ein weiteres Foto zeigte Jean Bartik, eine der Programmiererinnen des ersten Computers ENIAC – in diesem Projekt haben nur Frauen gearbeitet. In einem Video, dass Anja Schumann zeigt, wird außerdem Grace Hopper, die Erfinderin des Compilers, genannt (2).

Studien zufolge verlieren Mädchen das Selbstvertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten schon ab einem Alter von sechs Jahren und das Interesse an naturwissenschaftlichen Fächern im Alter von etwa 15 Jahren (3). Das führt dazu, dass die meisten Mädchen sich nicht für ein Informatikstudium entscheiden. Nur 1,6 % der weiblichen Absolventinnen haben einen IT-Bezug. Diese Zahl sinkt – allerdings nicht nur bei den Frauen, sondern auch bei den Männern. Nach Erfahrungen bei Moinworld geben Abiturientinnen und Abiturienten an, in ihrem Jahrgang die einzigen zu sein, die sich für Informatik interessieren. Das passe nicht dazu, welche Fähigkeiten in der Zukunft gebraucht würden. Laut einer Studie des BITKOM (4) sind 28 % Frauen in der IT-Branche tätig. Anja Schumann bezweifelt diese Zahl, da sie auf Tech-Events und Konferenzen nie einen so hohen Frauenanteil erlebt habe.

Da die Situation, wie sie aktuell ist, von Menschen geschaffen wurde, kann sie auch verändert werden. Das motiviert Anja Schumann zu ihren Aktivitäten. Derzeit scheint es jedoch eine größere Herausforderung zu sein, in der IT divers zusammengesetzte Teams zu etablieren, als selbstfahrende Autos zu entwickeln. Laut einer EU-Studie (5) liegt das am „Unconscious Bias“, der z. B. beim kritischen Blick auf Spielzeuge für Mädchen oder Medien, die sich an Frauen richten, deutlich wird.

IT bildet die Grundlage für die Wirtschaft der Zukunft, sodass über grundlegende Programmierkenntnisse zu verfügen für alle wichtig ist. Da Software die Gesellschaft durchdringt, ist es problematisch, wenn Produkte nur von einer kleinen, homogenen Gruppe entwickelt werden und die Hälfte der Bevölkerung nicht involviert ist.

Bei Moinworld e. V. möchte Anja Schumann eine angenehme und angstfreie Umgebung schaffen. Auch sollen die bereits aktiven Entwicklerinnen gestärkt werden, sodass diese selbst zu Veränderungen beitragen können.

Weil die bekannten IT-Konferenzen nicht Anja Schumanns Vorstellungen entsprachen, organisiert sie selbst einmal im Jahr größere Konferenzen. Das Thema Blockchain war zu umfangreich, um es in einem After-Work-Event zu thematisieren, sodass dem eine zweitägige Konferenz gewidmet wurde (6). Anja Schumanns Annahme zu Beginn war, dass sie keine Frauen als Sprecherinnen finden würde, tatsächlich aber waren bei der Konferenz zum Thema Blockchain letztendlich 50 % weibliche Sprecher vertreten, was für eine tolle Atmosphäre sorgte. Sie wünscht sich, dass auch andere Konferenzen entsprechend paritätisch besetzt werden.

Für nächstes Jahr plant Moinworld e. V. eine Konferenz zum Thema Zukunftstechnologien in Zusammenarbeit mit dem Magazin „Emotion“. Darüber hinaus sind Meet-Ups und Programmierkurse geplant, die direkt in Unternehmen stattfinden, damit die Teilnehmerinnen und Teilnehmer diese kennenlernen können. Viele der Kurse sind auf Anfänger/innenniveau, doch es gibt auch Angebote, die sich an erfahrenere Entwicklerinnen richten. Das Ziel ist, dass Mädchen im Rahmen dieser Programmierkurse mit erfahrenen Entwicklerinnen zusammen lernen. Für die Schülerinnen scheint es aber noch Barrieren zu geben, die sie davon abhalten, die Kurse in Anspruch zu nehmen. Aus diesem Grund hat Anja Schumann entschieden, direkt in die Schulen zu gehen – zunächst mit einzelnen „Lego Smart Home“-Workshops. Das Feedback der Mädchen war sehr positiv und sie waren sehr interessiert.

Derzeit läuft ein Pilotprojekt mit der Hamburger Reformschule Winterhude, das langfristiger angelegt ist. In diesem Rahmen wird eine Mischung aus Programmieraufgaben und Unconscious-Bias-Trainings angeboten, nach dem Google-Vorbild, die Unconscious-Bias-Trainings für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anbieten. Inspiration dazu bot die Dokumentation „#NoMoreBoysAndGirls“ von der BBC (7), in der es um ein Unconscious-Bias-Experiment an einer englischen Schule geht. Außerdem werden weibliche Vorbilder in der IT präsentiert. Anja Schumann erzählte dazu, dass sie sogar selbst Frauen in der IT diskriminiert hat. Umso wichtiger findet sie, dass dieses Thema bereits im Kindesalter bewusst gemacht wird.

Im Rahmen des Schulprojekts zeigte sich, dass die Mädchen ein verzerrtes Bild vom Beruf der/des Programmierers/Programmiererin haben. Obwohl sie begabt waren, konnten sie sich nicht vorstellen, in den Bereich IT zu gehen. Sie kritisierten, dass der ganze Tag vor dem Computer verbracht werden müsste. Dies ist in vielen anderen Berufen jedoch ebenso der Fall. In ihren Köpfen hat sich bereits früh das Bild gefestigt, dass sie ein Interesse an Computern zum Nerd werden und ihre Weiblichkeit verlieren lässt. Bei Erfolg soll das Projekt an weiteren Schulen durchgeführt werden. Die Workshops mit den Schülerinnen und Schülern haben Anja Schumann inspiriert, die zuvor genannte Kurzfilmserie über weibliche Role-Models in der IT (8)  zu produzieren.

Wie bereits erwähnt, ist die Rolle von Unternehmen zentral. Deren Gründe, mit Moinworld e. V. zusammenzuarbeiten, sind vielfältig. Ein Aspekt ist das Thema Corporate Social Responsibility. Tech-Unternehmen haben eine soziale Verantwortung und sollten zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen. Außerdem können sich Unternehmen mit dem Thema als innovativ präsentieren. Bei den Events können die Vertreterinnen und Vertreter der Unternehmen Kontakte zur Entwicklerszene knüpfen.

Abschließend lud Anja Schumann die anwesenden Vertreterinnen und Vertreter von Unternehmen ein, Teil des Netzwerks zu werden, bat um Unterstützung für den Verein und verwies auf die Möglichkeit, im Rahmen eines Praktikums bei Moinworld e. V. mitzuarbeiten.

(1) https://www.ted.com/talks/dame_stephanie_shirley_why_do_ambitious_women_have_flat_heads?language=de
(2) https://youtu.be/buAYHonF968
(3) Vgl. Margolis/ Fisher (2001): Unlocking the Clubhouse - Women in Computing (https://mitpress.mit.edu/books/unlocking-clubhouse)
(4) https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Frauenanteil-in-der-ITK-Branche-waechst-langsam.html
(5) https://ec.europa.eu/digital-single-market/en/news/increase-gender-gap-digital-sector-study-women-digital-age
(6) https://youtu.be/zChPVby4HSk
(7) https://www.youtube.com/watch?v=cp9Z26YgIrA
(8) Ein Beispiel: https://youtu.be/en4ZBhMAZUA

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