Modellprojekt Reallabor: Wie Unternehmen praktisch von Geschlechterforschung profitieren

Michael Ahmadi, Anne Weibert, Corinna Beckmann, Eva Mattausch

(Universität Siegen/ Ubisoft BlueByte GmbH)

Workshop 11:00 – 12:00 Uhr

Michael Ahmadi und Anne Weibert erforschen im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Mitarbeit am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik und Neue Medien der Universität Siegen schwerpunktmäßig die Rolle von Frauen in IT-Organisationen für das Projekt GEWINN.  Corinna Beckmann arbeitet nach ihrem Bachelorabschluss in Business Information Systems – IT Service Management im dualen Studiengang bei Hewlett Packard seit 2012 bei der Ubisoft BlueByte GmbH und ist Producerin für das neue Computerspiel „Die Siedler“. Eva Mattausch ist seit 2019 Project Coordinator im Audio Department bei Ubisoft Blue Byte in Düsseldorf. Davor studierte sie im Masterstudiengang Audiovisuelle Medien mit Schwerpunkt Interaktive System & Games an der Hochschule der Medien Stuttgart. Zu Beginn führten Michael Ahmadi und Anne Weibert in das Thema Reallabor-Forschung ein. Corinna Beckmann und Eva Mattausch berichteten aus Unternehmenssicht ihre Erfahrungen mit dem Reallabor. Die Reallaborforschung bedeutet forschen in praxisorientierten Settings. Sie beinhaltet Aktionsforschung und qualitative Interviews, um theoretische Einsichten aus der Wissenschaft in praktisch anwendbare Handlungsempfehlungen zu transferieren.

Durch die Reallaborforschung von Michael Ahmadi und Anne Weibert bei Ubisoft BlueByte konnten drei Kernpunkte identifiziert werden, die bzgl. Geschlechterfragen für Unternehmen besonders relevant sind: 

  1. Externe Kommunikation mit einem Fokus auf Stellenausschreibungen
  2. Das Onboarding
  3. Die Talententwicklung

Corinna Beckmann und Eva Mattausch berichten von der Situation im Unternehmen. Ubisoft BlueByte entwickelt Videospiele wie „Die Siedler“ oder „Anno 1800“ und besteht seit 31 Jahren. BlueByte hat 18 % weibliche Mitarbeiterinnen, einschließlich derer in der Verwaltung.

 „Es gibt nichts Schlimmeres als einen schlechten ersten Tag,“ erklärte Corinna Beckmann. Dies gilt besonders für das Onboarding von Frauen in einem maskulin dominierten Umfeld. In diesem Sinne fokussierte sich der Workshop auf das Thema Onboarding in einem IT-Unternehmen, um mit Hilfe von zwei Szenarien/ Rollenspielen und anschließender gemeinsamer Diskussion und Analyse gendersensible Handlungsempfehlungen abzuleiten.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden in zwei Teams eingeteilt und weiterhin wurden zwei einzelne Personen nach draußen geschickt, damit sie ihr eigenes Briefing erhalten. Die zwei Teams im Seminarraum erhielten den Auftrag, jeweils ein Szenario auszuarbeiten: ein Worst-Case und ein Best-Case Szenario für eine Onboarding-Situation. Jedes Team sollte einen passenden Ablauf entwickeln, auf welche Weise es ihre „neue Mitarbeiterin“ (eine der beiden Teilnehmerinnen vor der Tür) empfangen. Die beiden draußen wartenden Personen wurden informiert, dass sie gleich einen ersten Tag im Unternehmen als neue Mitarbeiterin erleben werden und welche Charaktereigenschaften sie selbst dafür mitbringen sollen: einmal introvertiert, einmal extrovertiert.

Beide Szenarien wurden von allen Beteiligten mit großem Engagement und schauspielerischem Talent durchgespielt: Im Worst-Case wird die extrovertierte neue Mitarbeiterin direkt zu Beginn in einer Teambesprechung nur als Störfaktor behandelt, keiner weiß ihren Namen, es gibt keinen Ansprechpartner, keine konkrete Aufgabe für sie. Sie wird an die Seite gesetzt und erhält belanglose Papiere als Lesestoff. Zugleich läuft das Teammeeting weiter mit Beschwerden über die internen Abläufe, auch lassen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter direkt gegenüber „der Neuen“ durchblicken, dass die Situation im Unternehmen schwierig sei. Zum Mittagessen wird sie nicht mitgenommen, da alle Teammitglieder angeblich bereits andere Verabredungen haben. „Als introvertierte Person wäre ich heimlich wieder gegangen,“ kommentierte im Anschluss die Workshop-Teilnehmerin, die die neue Mitarbeiterin in diesem Szenario spielte. Und: „Wenn die Firma so einen wichtigen Termin nicht auf die Reihe bekommt, dann wird klar, was als nächstes kommt oder eben nicht kommt.“

Im Best-Case Szenario wurden Idealsituationen entwickelt: Das Team ist auf das Kommen der neuen Mitarbeiterin eingestellt. Sie wird persönlich empfangen, ihr Arbeitsplatz ist vorbereitet, es gibt Blumen als Willkommensgruß. Eine Ansprechperson moderiert den Empfang und stellt die neue Mitarbeiterin dem Team mitsamt den jeweiligen Funktionen vor. IT-Einstellungen und E-Mail sind bereits vorbereitet, sie erhält eine Mappe mit allen notwendigen Informationen und Ansprechpersonen. Es gibt einen Hospitationsplan, wie sie alle Abteilungen durchlaufen kann. Nach der Teamvorstellung gibt es ein persönliches Gespräch mit einer Mentorin, die sie in der ersten Zeit begleiten wird. Im Gespräch wird geklärt, welche Aufgaben auf sie zukommen. Das gemeinsame Mittagessen ist ebenfalls eingeplant, hier nimmt nicht nur die Mentorin und das Team, sondern auch die Vorgesetzte teil. Die Eindrücke der neuen Mitarbeiterin in diesem Szenario waren entsprechend positiv: Das Willkommen war sehr gelungen, sie hatte ein gutes Gefühl und die Strukturen waren klar. Im Anschluss an beide Szenarien wurden die einzelnen Briefings für das Rollenspiel noch einmal aufgelöst und transparent gemacht.

In der folgenden Analysephase wurden an der Tafel die Erkenntnisse für ein gendersensibles Onboarding in Unternehmen gesammelt:

Obligatorisch („Must-have“):

  • Begrüßung, „Willkommen“ und Ansprechperson, die bereits aus Bewerbungssituation bekannt ist
  • Einführung, Weg zum Team
  • Gewahrsein im Team für neue Mitarbeiterin
  • Eingerichteter Arbeitsplatz, Kommunikationstools wie E-Mail, Schlüssel etc. sind vorbereitet bzw. werden ausgehändigt
  • Abfrage von individuellen Wünschen, Anforderungen
  • Liste an Tools, je nach dem: gemeinsam oder vorab installieren
  • Konkrete Tätigkeiten planen
  • Organisationsplan
  • Stakeholderplan

Optional („Nice to have“):

  • Gewahrsein für die neue Mitarbeiterin im gesamten Unternehmen (z. B. Über eine Ankündigung per Monitor)
  • Mentorin oder Mentor
  • Einarbeitungsplan/ Laufzettel
  • Begrüßung durch den Betriebsrat
  • Projektleiter/in anwesend bei Bewerbungsgespräch

Tabus:

  • Gender zum Thema machen, Rollenbilder manifestieren
  • Kein Jobprofil und unklarer Aufgabenbereich

Gut gemeint, aber…:

  • Informationsüberfrachtung
  • Bevormundung

Michael Ahmadi, Anne Weibert, Corinna Beckmann und Eva Mattausch bedankten sich bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern für die Mitarbeit.

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