Feminismus und Fiktion: Technologien neu erzählen

Katrin Fritsch und Helene von Schwichow

(MOTIF Institute for Digital Culture)

Workshop 15:15 – 16:15 Uhr

Das MOTIF Institute for Digital Culture – eine Mischung aus Forschungsinstitut und Strategieberatung – wurde 2019 von Katrin Fritsch und Helene von Schwichow gegründet. Im Mittelpunkt stehen technologische Innovationen und ihre gesellschaftlichen Implikationen mit Fragen wie: Wie kann man Technologie und Gesellschaft sinnvoll zusammen denken? Wie sieht die Mobilität der Zukunft aus? Welche ethischen Überlegungen sollte man bei der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz mitdenken?

Ausgangspunkt des Workshops war die Einsicht: Technik ist nie neutral, denn sie entsteht immer in gesellschaftlichen Prozessen. Hieraus entstand bei den Workshopleiterinnen die Idee für ein Erzählprojekt: Wenn man Technologien auf neue Weise erzählt, so die Grundannahme, lassen sich auf diesem Wege bestehende Strukturen hinterfragen und Denkprozesse anstoßen. Das übergreifende Anliegen war, eine inklusive Diskussion darüber zu schaffen, welche Technologien wir aktuell und welche wir in der Zukunft haben wollen. Was sind Imaginationen von neuen Technologien, welche Geschichten sind damit verbunden und wie können wir diese beeinflussen? In diesem Sinne kann „Geschichten erzählen“ zu einer politischen Handlung und Science Fiction zu einer Methode werden.

Den Einstieg bildete bestandsaufnehmend der Blick auf die Lage des Internet 2019. Folgende Missstände sind dabei unter anderem erkennbar:

  • Monopolisierung von Tech-Companies (z.B. Facebook)
  • Veraltete Infrastruktur
  • Zugang (wer kann das Internet nutzen?)
  • Uploadfilter
  • Überwachung, Privatsphäre, Datenschutz
  • Content-Probleme: Stalking, Sexismus,…

Beim gemeinsamen Brainstorming mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden folgende Schlagworte und Fragen ergänzt:

  • Angst vor Kommentaren/ Shitstorm/ Hate Speech
  • Filterblasen
  • Unvollständige, nicht diverse Datensätze als Basis für Algorithmen
  • nicht zu wissen, welche eigenen Daten gespeichert werden, in welche Hände diese geraten und was damit gemacht wird
  • Was passiert mit den Daten, wenn Personen sterben?
  • Selbstamplifikation
  • Beobachtung/ Überwachung
  • Fake News, Manipulation
  • Identität(sklau)
  • Deutungshoheit: wer entscheidet, was gut und richtig ist oder wer sprechen darf?
  • Zugang zu Infrastruktur: Strom, Glasfaserkabel

Vergleiche zwischen verschiedenen Ländern sind schwierig, weil Technologie immer kulturell geprägt ist. China beispielsweise wird oft als „böse“ dargestellt, was Überwachung und Datenschutz angeht – doch auch in anderen Ländern gibt es viele Missstände, über die aber politisch kaum debattiert wird.

Was können wir also tun? Es gibt bereits viele feministische Perspektiven auf das Internet (Cyberfeminism, Third wave feminism, Afrofeminism...). Jede und jeder Einzelne kann – auch, ohne coden zu können – bestehende Strukturen beeinflussen, beispielsweise durch Sprache und Bilder. Mithilfe von neuen Geschichten können neue Perspektiven auf das Internet oder andere moderne Technologien eröffnet werden, woraus wiederum Strategien für die Zukunft abgeleitet werden können.

Die praktische Schreibaufgabe für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer lautete: „Wie könnte ein besseres Internet 2030 aussehen?“ Sie waren frei, kreativ zu werden und ihre Ideen in Form von Gesprächen, Kurzgeschichten, Filmszenen, Gedichten o.ä. niederzuschreiben.

Als mögliche Anfänge einer Story wurden vorgeschlagen:

  • „April 2030. Nach Amazon verkündet nun auch Google den Bankrott. Zwei junge...“
  • „Eine Klinik in den Alpen. Eine Frau bereitet sich auf die Transplantation eines hyperintelligenten Auges vor...“
  • „Instagram launcht einen Bot, der Hate Speech erkennt...“

Zum Abschluss des Workshops wurden einige der Texte und Ideen vorgetragen. Im Gespräch mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmerinnen wurde besonders deutlich, wie essentiell es ist, Kontrolle über die eigenen Daten zu haben, Manipulation von Daten zu verhindern, Strategien für den Umgang mit Filterblasen zu entwickeln und eine finanzielle Grundlage zu haben bzw. diese zu schaffen, auf der ein „gutes“ Internet realisiert werden kann.

Folgende Ideen und Aspekte waren Teil der „neuen Narrationen“:

  • Nutzerinnen und Nutzer nutzen automatisch gewaltfreie Kommunikation.
  • Das Internet wurde revolutioniert.
  • Personen haben jeweils nur einen Account, in dem alle Infos gespeichert sind.
  • Smartphones haben wieder längere Akku-Laufzeiten und der Empfang ist überall gut.
  • Selbstzerstörungsmodus: Im Falle des eigenen Todes werden alle Daten automatisch gelöscht.
  • Google, Facebook und Co. fragen Nutzerinnen und Nutzer, welche Daten sie freiwillig übermitteln möchten und bieten unabhängig davon den vollen Service.
  • Keine Filterblasen, keine Manipulation, keine unerwünschte Werbung.
  • „Users“ werden zu „Workers“ (Wird dann eine Gewerkschaft gegründet? Was ist mit Kindern, die Daten produzieren?).
  • Alle Werbeeinnahmen müssen mit 25 % besteuert werden; diese Summen fließen in die Open-Source-Entwicklung und den Betrieb eines dezentralen Medienservices (z.B. Stiftung).
  • Algorithmen ersticken Hate Speech im Keim.
  • Filterblasen gibt es nicht mehr, da es keine Polarisierung mehr gibt, Menschen handeln eigenverantwortlich.
  • Algorithmen überprüfen automatisch die Logik von Inhalten und filtern Fake News heraus.
  • Große Transparenz bei Inhalten: Bias, politische Einordnung, Infos zur Autorin bzw. zum Autor etc. werden sichtbar gemacht.
  • Neben passenden Inhalten werde solche mit divergierenden Meinungen angezeigt.
  • Daten gehören der Person – wer sie braucht, muss anfragen und verständlich erläutern, wofür sie gebraucht werden.
  • Es gibt eine Übersicht, wo die eigenen Daten schon mal waren und wozu sie genutzt wurden

Im Laufe der Diskussion wurden die Vor- und Nachteile von Filterblasen gegenübergestellt. Eine Teilnehmerin betonte, dass durch Filterblasen die Komplexität reduziert wird und sie dadurch genau die Infos und das Umfeld bekommt, das sie gerade braucht. Die Filterblase sollte aber nur als Orientierungsmoment dienen und die eigene Medienkompetenz unterstützen, ein An- und Abschalten, um sich bewusst anderen Einflüssen aussetzen zu können, wäre also sinnvoll. Dabei ist zu beachten, dass Filterblasen kein neues Phänomen sind: Auch das Kaufen einer bestimmten Zeitung lässt eine solche entstehen; dies ist dann aber eine bewusstere Entscheidung, während Inhalte im Internet oft schwieriger einzuordnen sind.

Katrin Fritsch und Helene von Schwichow kündigten an, dass die Geschichten gemeinsam mit den Ergebnissen aus anderen Workshops gesammelt und in einem Blog veröffentlicht werden sollen.

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