Videospiele als Einstieg in die Informatik und wie Diversity-freundlich die Spieleindustrie ist
Xenija Neufeld
(Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg)
Workshop 12:15 – 13:15 Uhr
Zum Einstieg in ihren Workshop berichtete Xenija Neufeld über ihren Weg in die Informatik und die Spielebranche: In der Schulzeit hat sie Informatik als Wahlpflichtfach gewählt, das Thema Game-Design war ihr aber noch unbekannt. Das änderte sich, als sie eine AG an der Universität Hannover besuchte, in dessen Rahmen ein Spiel entwickelt wurde. Während ihres Informatikstudiums an der Universität Magdeburg wurde sie bei dem Verein „Acagamics Magdeburg“ aktiv. Im Master fokussierte sie sich auf Künstliche Intelligenz. Aktuell arbeitet sie an einer dualen Promotion in Informatik an der Universität Magdeburg in Kooperation mit dem Videospieleentwickler Crytek aus Frankfurt, das Thema ist „Langzeitplanung und reaktive Ausführung von Aufgaben in hochdynamischen Umgebungen“. Sie ist außerdem Mitorganisatorin der Netzwerkveranstaltung „FemDevsMeetup“ für Spieleentwicklerinnen in der Region Frankfurt, weil ihr die Förderung von Frauen in der Informatik am Herzen liegt.
Sich als Kind allein das Programmieren, z.B. mithilfe eines Buches, beizubringen, ist schwierig. Es braucht jemanden, der dabei unterstützt. Die meisten Eltern können es nicht oder haben keine Zeit dafür. Eine weitere Hürde für Mädchen ist, dass Informatik kein Pflichtfach in der Schule ist. Außerdem wird es meist frontal unterrichtet und die Themenauswahl ist wenig interessant. Xenija Neufeld berichtete, dass sich aus ihrer Sicht Spiele sehr gut eignen, um Mädchen schon früh für die Informatik zu begeistern.
Außerschulische Angebote wie der Girls‘Day - Mädchen-Zukunftstag, die die Spieleindustrie nutzt, sind hilfreich um zu zeigen, was möglich ist. Mädchen müssen die Gelegenheit bekommen, Rollenvorbilder kennenzulernen, die ihnen Wege in die Spieleindustrie aufzeigen. Um das Programmieren aber wirklich zu lernen und Mädchen nachhaltig für die Informatik zu begeistern, sodass sie den beruflichen Weg einschlagen, braucht es langfristige Veranstaltungen und Angebote. Außerschulische Angebote haben den Vorteil, dass keine Lehrperson da und der Ablauf weniger starr ist. Als Beispiel nannte Xenija Neufeld die Initiative „Ada Lovelaces Urenkelinnen“. Die Kursleiterinnen sind Studentinnen und nur ein paar Jahre älter als die Teilnehmerinnen, was die Kommunikation vereinfacht. Auch die Studentinnen haben einen Vorteil, weil sie sich durch die Tätigkeit weiterentwickeln und ein Netzwerk bilden. Es kam vor, dass Schülerinnen an der AG teilgenommen haben und später Mentorin wurden.
Die deutsche Spieleindustrie ist eine der größten in Europa, es gibt mehr als 500 Unternehmen mit etwa 30.000 Beschäftigten. Der Frauenanteil liegt bei etwa 30 %, allerdings arbeiten die meisten Frauen in den Bereichen Personal oder Finanzen, weniger als Programmiererinnen und noch weniger in den oberen Managementebenen. Die für den Inhalt der Spiele verantwortlich sind, sind also meistens Männer. Bei Cyrtek arbeiten insgesamt 17 % Frauen. Bei einem Spiel, das Xenija Neufeld mitentwickelt, ist sie die einzige Programmiererin im Team.
Es stellt sich also die Frage: Warum werden Frauen scheinbar immer noch von den technischen Berufen abgeschreckt? Früher gab es für Game-Design nicht viele Ausbildungsmöglichkeiten in öffentlichen und privaten Hochschulen, doch das hat sich bereits gebessert. Mittlerweile gibt es auch viele Frauennetzwerke in der Spieleindustrie. Diese sind wichtig für den Austausch und die Sichtbarkeit.
Wooga gilt als Vorzeigeunternehmen bezüglich des Frauenanteils, dieser liegt bei 30 %. Dort wurde herausgefunden, dass Frauen meist spannende Handlungen, schöne Szenarien und Charaktere, mit denen sie sich identifizieren können, bevorzugen. Es gibt einen Zusammenhang zwischen den Menschen, die ein Spiel entwickeln, und dem Inhalt: Sobald eine Minderheit in eine Produktentwicklung eingebunden wird und ihre Perspektive auf die Welt mit einbringt, ist es wahrscheinlicher, dass diese Minderheit inhaltlich Berücksichtigung findet und sich dann auch im Publikum widerspiegelt. Ein Beispiel ist das Spiel „Sims“: Bei der Entwicklung wurde auf einen hohen Frauenanteil im Entwicklerteam geachtet.
Oft besteht die Vorstellung, dass Spiele für Männer entwickelt und Frauen als Sexualobjekte dargestellt werden. Interessant ist allerdings, dass die ersten Spielekonsolen für Familien entwickelt wurden. Erst als Nintendo den US-Markt erobern wollte, hat die Firma seine Produkte gezielt an Jungen vermarktet. In der Folge wurden Spiele immer mehr Männern zugeordnet und auch die Charaktere in den Spielen waren meist männlich und mussten heroisch eine Frau retten. Heutzutage gibt es viele Gegentendenzen: Auch Frauen werden als Heldinnen dargestellt und tragen normale Kleidung, anstatt auf Sexualobjekte reduziert zu werden. Bei dem Spiel „Mass Effect 3“ besteht zu Beginn die Wahlmöglichkeit zwischen Mann oder Frau. Viele Firmen entscheiden sich dennoch, ein Spiel zunächst nur mit männlichen Hauptcharakteren zu entwickeln, weil das Berücksichtigen eines weiblichen Charakters viele Monate zusätzliche Arbeit und damit finanziellen Aufwand bedeutet. Erst wenn es Beschwerden aus der Zielgruppe gibt werden weibliche Charaktere in einer kostenpflichtigen Erweiterung hinzugefügt. Ein wenig anders sieht das bei sogenannten Indie-Spielen aus, die meist von kleinen Teams entwickelt und einfacher in der Darstellung sind: Bei dem Spiel „Spelunky“ beispielsweise kann man sowohl wählen, ob der Hauptcharakter ein Mann oder eine Frau ist, als auch, wen dieser am Ende rettet (Mann, Frau oder Hund).
Wenn das Thema Gender in Games bedacht wird, sollten auch Themen wie Homosexualität und non-binäre Genderidentitäten in den Blick genommen werden. Das ist bisher noch nicht oft der Fall, doch die Rufe danach werden immer lauter, besonders aus den USA. Dort gibt es beispielsweise die „Queerness and Games Conference“.
Als Fazit stellte Xenija Neufeld fest, dass es für mehr Diversity in der Spieleindustrie nicht reicht, nur einzelne Aspekte zu betrachten. Wenn mehr Frauen für die Branche gewonnen werden sollen, müssen Spiele für Frauen interessanter sein, Frauen sichtbar gemacht und ihnen der Einstieg in die Branche erleichtert und gefördert werden. Auf den Vortragsteil folgte eine Diskussion mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Eine Anmerkung aus dem Publikum bezog sich auf das Thema Role-Models und Konferenzen oder Vorträge in Schulen. Es kann problematisch sein, wenn Frauen in einer Branche „exotisch“ sind und das Geschlecht bei der Auswahl von Sprecherinnen immer zum Thema gemacht wird. Der Inhalt des Talks sollte stattdessen im Vordergrund stehen. Weil es so wenig Frauen in der Spieleindustrie gibt, besteht die Gefahr, immer die Einzige zu sein und damit als Aushängeschild präsentiert zu werden. Das ist für viele junge Mädchen nicht besonders erstrebenswert.
Des Weiteren ging es um den Einfluss von Medien generell am Beispiel der Film- und Fernsehindustrie: Mehr Interesse von Frauen am Polizeiberuf wurde, wenn auch statistisch nicht belegt, mit weiblichen Vorbildern im „Tatort“ in Verbindung gebracht. Die Bilder und Botschaften, die in den Medien verbreitet werden, beeinflussen die Denkweise der Menschen in der Gesellschaft. Heutzutage ziehen viele Jugendliche andere Medien dem klassischen Fernsehen vor, unter anderem Spiele. Der „Gamification“-Ansatz wird auch in der Bildung eingesetzt und ist eine Chance, bestehende Muster aufzubrechen. Das Denken in veralteten Kategorien, zum Beispiel bei Kinderspielzeugen, wurde beim Workshop kritisch diskutiert. Eine differenziertere Personalisierung basierend auf Eigenschaften statt auf Kriterien wie „männlich“ und „weiblich“ sei wünschenswert.
Es sollte, so ein Hinweis einer Teilnehmerin, bereits beim HR-Prozess angesetzt werden mit dem Ziel, die Hemmschwelle zu senken, sich als Frau auf IT-Jobs zu bewerben. Generell gilt es, den Bewerbungsprozess diverser zu gestalten. Es ist bekannt, dass Frauen sich erst bewerben, wenn sie zu mindestens 80 % in das Anforderungsprofil passen. Veranstaltungen, Vernetzung und Ermunterung können helfen. Wenn sich zu wenig Frauen bewerben, sollten Unternehmen ihre Ausschreibungen kritisch prüfen. Bei kleineren Unternehmen einzusteigen, scheint für Frauen eine geringere Hürde zu sein als bei den großen, bekannten Spieleherstellern – eine „gläserne Decke“ gibt es dennoch. Der Fachkräftemangel, so die These einer Teilnehmerin, könnte das ändern: Unternehmen werden dazu gezwungen, ihre Anforderungen („eierlegende Wollmilchsau“) zu überdenken und stattdessen in die Lernfähigkeit und das Potential einer Person zu vertrauen und in diese zu investieren, statt sie nur einzustellen, wenn sie schon alles beherrscht. Auch was die externe Kommunikation von Spieleunternehmen angeht, ist noch Luft nach oben: Oft scheint es einen Lücke zwischen Realität und Außendarstellung zu geben.
Ein weiterer Diskussionspunkt drehte sich um das Thema Hate-Speech in Spieleforen. Von Diskriminierungen bis Morddrohungen kommt dort alles vor. Wenn extreme Fälle in den Fachmedien publik gemacht werden, bekommen sie kurzfristig Aufmerksamkeit in der Branche, bevor sich alles schnell wieder abkühlt und sich nichts maßgeblich ändert. Hate-Speech in Spieleforen ist ein Aspekt, der Frauen abschreckt. Ein Lösungsansatz ist, mehr über positive Beispiele zu berichten. Auch eine deutsche Übersetzung des Begriffs „Bias“, die nicht negativ konnotiert ist, wäre hilfreich. Ein weiteres Hemmnis könnte sein, dass die Spieleindustrie sehr international ist: Um sich weiterzuentwickeln, ist häufig ein Wechsel des Arbeitgebers nötig, der oft mit einem Umzug ins Ausland einhergeht. Das lässt sich schlecht mit einem engen Bezug zur Familie vereinbaren.
Als Kanal, der zentral für das Thema Gender in der Spieleindustrie ist, nannte Xenija Neufeld Twitter. Besonders von Akteurinnen und Akteuren aus den USA werden darüber Forderungen nach mehr Diversity laut. Es wurde betont, dass es wichtig ist, mit dem Thema Gender in der Spieleindustrie nicht unter sich zu bleiben, sondern Diversity als gemeinschaftliche Aufgabe zu verstehen, bei der alle – auch Männer – mit ins Boot geholt werden sollten.
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